Communication publiée dans un ouvrage (Colloques, congrès, conférences scientifiques et actes)
Gewissheit als »sentiment«. Kontingenz und leerer Raum in der Epistemologie Blaise Pascals
REIDENBACH, Christian
2016In Kosmos & Kontingenz
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Mots-clés :
Blaise Pascal; Vacuum physics; 17th Century Epistemology
Résumé :
[de] Hatte bereits das Fernrohr neue Perspektiven in das Universum gerissen, welche zugleich den metaphysischen Sinnkosmos und die menschliche Zentralstellung darin grundlegend erschütterten, so stellten ab 1646 die physikalischen Versuche Pascals mit einer Quecksilbersäule in einem einseitig verschlossenen Glasrohr das augenfällige Analogon für einen Kosmos her, der fortan im Zeichen der Kontingenz zu stehen hatte: Denn das Absinken des Quecksilberspiegels und die über ihm entstehende Leere machten deutlich, dass der Raum sich nicht mehr – wie in der aristotelischen und cartesischen Naturphilosophie – als Kontinuum präsentierte, sondern nur mehr in der Doppelgestalt von Leere und Materie, von Vakuum und Atom verfügbar war. Etwa zehn Jahre später ruft Pascal diesen kontingenten Kosmos in jenem berühmten Fragment Disproportion de l’homme wieder auf, das seinen Blick in den Weltraum zu einer Meditation über die Endlichkeit menschlicher Erkenntnis weitet: Der Mensch findet sich hier nicht nur in eine prekäre Mitte zwischen mikroskopischer wie makroskopischer Unendlichkeit eingestellt, auch entspricht die Pluralisierung der Einblicke ins Universum der wachsenden Unmöglichkeit, die immer komplexeren Einzelgewissheiten in einem einzigen Bewusstsein zu synthetisieren. Um einer generellen Skepsis und einer Reduzierung der Naturphilosophie auf eine Erkundung des rein Materiellen zu entgehen, formuliert Pascal schließlich die Forderung, auf eine kontingent gewordene wissenschaftliche Erkenntnis nur mehr mit der Gewissheit antworten zu können, die allein Glaube bereithält. Diesem Bruch mit der Wissenschaft voraus geht jedoch eine epistemologische Reflexion, in der Pascal den Versuch unternimmt, den physikalischen wie kosmologischen Befund einer Diskontinuität epistemologisch auszuwerten: Im Bestreben der frühneuzeitlichen Wissenschaft, Kosmos und Zeichenvorrat einerseits, Zahlen und einfache Größen andererseits in zwei analogen Bezugssystemen kongruent aufeinander abzubilden, nimmt er daher eine Sonderstellung ein: Denn er überwindet die Vernunftgläubigkeit der Naturphilosophie eines Descartes, indem er die einseitige Erkenntnisform der geometrischen Methode erweitert um jene Kontingenzerfahrung, die sich aus der Ausschnitthaftigkeit und der Unvollständigkeit der im Experiment erlangten Erkenntnis speist. In diesem sentiment genannten unmittelbaren Erkennen setzt Pascal das Herz als überlegenes Reflexionszentrum ein und integriert so Aspekte der Intuition in die exakten Wissenschaften. Seine Epistemologie versteht sich damit auch als Vernunftkritik und entzieht sich der Hybris einer in geometrischen Schlüssen beanspruchten restlosen Aufteilung der Welt. Pascals Anliegen einer kompromisslosen Empirie in der Erforschung des Vakuums ist daher mit dem Preis erkauft, weder glatte Befunde noch eine geschlossene Epistemologie als System vorlegen zu können. In solcher Offenheit des sentiment jedoch findet der Forscher den einzigen Halt für seine Erklärungen. Die besondere Tragweite jener Krise wissenschaftlicher Erkenntnis, die sich in der Auseinandersetzung mit dem leeren Raum eröffnet, zeigt sich zudem nicht nur daran, dass Pascal den 1651 angekündigten großen Traktat über das Vakuum nie geschrieben hat; in ihrer Gänze erschließt sie sich erst in jenem metaphysischen Schrecken, den er angesichts des unermesslichen Weltraums verspürte: Die endlose Ausdehnung des Alls wird mit der ebenso unendlichen Entfernung von einem Gott enggeführt, der sich umso gründlicher verbirgt, als der Mensch die Netze seiner messenden Vernunft immer weiter ins All auswirft. Sentiment stellt im Unterschied dazu den Versuch dar, mittels der Intuition auch den unendlich entfernten Gott noch einmal in eine empirische Forschung mit einzubegreifen.
Disciplines :
Littérature
Philosophie & éthique
Physique, chimie, mathématiques & sciences de la terre: Multidisciplinaire, généralités & autres
Auteur, co-auteur :
REIDENBACH, Christian ;  University of Luxembourg
Co-auteurs externes :
yes
Langue du document :
Allemand
Titre :
Gewissheit als »sentiment«. Kontingenz und leerer Raum in der Epistemologie Blaise Pascals
Date de publication/diffusion :
01 janvier 2016
Nom de la manifestation :
Kosmos und Kontingenz
Organisateur de la manifestation :
PhD-Net „Das Wissen der Literatur“; DFG-Graduiertenkolleg „Lebensformen und Lebenswissen“
Lieu de la manifestation :
Berlin, Allemagne
Date de la manifestation :
10.–12. Juli 2014
Sur invitation :
Oui
Manifestation à portée :
International
Titre de l'ouvrage principal :
Kosmos & Kontingenz
Maison d'édition :
Brill | Fink
ISBN/EAN :
978-3-7705-5885-8
978-3-8467-5885-4
Pagination :
100–111
Peer reviewed :
Editorial reviewed
Disponible sur ORBilu :
depuis le 02 mars 2024

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