Tiefenzeit erzählen – Tiefenzukunft erfinden. Eine Verortung

Die folgenden Überlegungen zeichnen eine alternative Perspektive des Verhältnisses von Anthropozän und Kritik, indem sie die spezifische Funktionsleistung von Literatur seit der literarischen Moderne ausloten. Leitende These ist dabei, dass die Verschiebung, die durch den historischen Diskurs der Tiefenzeit ausgelöst wurde, auch die Literatur erfasste. Es ist insbesondere die Idee der Verzeitlichung des Naturverständnisses, die eine katalytische Kraft auf die literarische Erzähl- und Darstellbarkeit von inkommensurablen Zeitgrößen entfaltet. Literatur, so die These, vermag situierte Perspektiven des Menschen und überzeitliche, nicht-menschliche oder transgenerationelle Perspektiven zu kombinieren, wodurch sie par excellence in die Lage gerät, natürliche Prozesse zu de- bzw. zu reanthropologisieren, das heißt vom Menschen zu abstrahieren oder den Menschen wieder als eine Figur der Verantwortlichkeit einzuführen. Gerade mit Blick auf die beschleunigte Überschreitung der planetaren Grenzen scheint eine Wiedereinführung des Menschen als handlungsmächtiger Akteur für das Unternehmen einer Kritik auf Ebene der Herausforderungen des Anthropozäns dringend notwendig. Die Literatur vermag so einen Beitrag zu leisten, wenn es darum geht, Zukunft zu erfinden.