[en] Discourses of courtliness manifest themselves, among other things, in medieval literature through a nuanced material culture. The paper substantiates this assumption through a comparison of two episodes in Heinrich von Veldeke's Eneasroman, in which gifts are circulated and protagonists communicate nonverbally through acts of giving. Gifts, as communication media, appear predisposed to establish and preserve courtliness as objects of materialized politeness, guarding against potential loss of face. Gifts thus have agency, as they appear to initiate and determine actions.
Disciplines :
Littérature
Auteur, co-auteur :
REICHER, Ruth ; University of Luxembourg > Faculty of Humanities, Education and Social Sciences (FHSE) > Department of Humanities (DHUM) > German Studies
Co-auteurs externes :
no
Langue du document :
Allemand
Titre :
Wenn Dinge Höflichkeit machen. Erzählter Austausch von Gegenständen in Heinrichs von Veldeke Eneas
Date de publication/diffusion :
juin 2024
Titre du périodique :
Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Deutschen Literatur
Bundesministerium des Innern und für Heimat. URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/topthemen/DE/ topthema-gastgeschenke/gastgeschenke-artikel.html (zuletzt eingesehen am 01.06.2022).
Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: dtv 122008, S. 78.
Jan Hirschbiegel: Étrennes. Untersuchungen zum höfischen Geschenkverkehr im spätmittelalterlichen Frankreich zur Zeit König Karls VI. (1380-1422). Berlin/Boston: De Gruyter 2003;
Harald Haferland: Gabenaustausch, Grußwechsel und die Genese von Verpflichtung. Zur Zirkulation von Anerkennung in der höfischen Kultur und Literatur. In: Martin Baisch (Hg.): Anerkennung und die Möglichkeiten der Gabe. Literaturwissenschaftliche Beiträge. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2017, S. 67-121.
Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg. von Dieter Kartschoke, Stuttgart: Reclam 2014.
Gaben werden als Akteure im Handlungskollektiv als Teil eines Netzwerkes begriffen. Sie besitzen Wirkmacht und agieren handlungsinitiierend; diese Annahme basiert auf Überlegungen Latours in Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Berlin: Suhrkamp 2010; Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008.
Vgl. Iris Därmann: Theorien der Gabe zur Einführung. Hamburg: Junius 22010. In der Einführung werden die Rezeption der Mauss'schen Gabentheorie und die damit verbundenen Lesarten, Erweiterungen und Akzentuierungen seiner Theorie hervorgehoben, infolgedessen wird eine Geschichte der Gabentheorie, die ihr Fundament auf die Überlegungen Mauss' legt, nachgezeichnet.
Mauss' Theorie der Gaben besitzt hohen Bekanntheitsgrad: Därmann merkt diesbezüglich an, dass die vermeintliche kritische Auseinandersetzung mit Mauss' Gabentheorie durch Bataille, Lévi-Strauss, Derrida und Serres das Charakteristische seiner Theorie zum Verschwinden bringt. Durch ihre Interpretationen, Kritik und Umdeutung seiner Gabentheorie als eine "exzessive Verausgabung" (Bataille), einen wechselseitigen Tausch (Lévi-Strauss), ein reines Geben (Derrida) sowie ein missbräuchliches Zueigenmachen (Serres) werden diese Deutungen nach Därmann der Modernität Mauss' Sozialtheorie des Gebens nicht hinlänglich gerecht. Därmann: Theorie der Gabe (Anm. 7), S. 13f.
Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990, S. 17.
Vgl. Mauss: Die Gabe (Anm. 9), S. 91-102.
Vgl. Mauss: Die Gabe (Anm. 9), S. 103.
Vgl. Haferland: Gabenaustausch (Anm. 3), S. 71.
Vgl. Alain Caillé: Das Paradigma der Gabe. Eine sozialtheoretische Ausweitung. Übersetzt von Michael Halfbrodt. Bielefeld: Transcript 2022, S. 52.
Vgl. Haferland: Gabenaustausch (Anm. 3), S. 70f.
Beat Wolf assoziiert hövesch mit dem altfranzösischen courtois. Als Lehnprägung gewinnt der Begriff vor allem in der epischen Dichtung an Bedeutung, erfreut sich im 13. Jahrhundert großer Beliebtheit und dient der Apostrophierung von gefälligem, kultiviertem Benehmen in Abgrenzung zur unedlen, unritterlichen Manier. Vgl. Beat Wolf: Vademecum medievale. Glossar zur höfischen Literatur des deutschsprachigen Mittelalters. Bern/Berlin: Peter Lang 2002, S. 37.
Art. 'hovelich'. In: Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Georg Friedrich Benecke/Wilhelm Müller/Friedrich Zarncke. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities. Version 01/23. URL: https://www.woerterbuchnetz.de/BMZ?lemid=H01305 (zuletzt eingesehen am 05.04.2024).
Art. 'höflich'. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities. Version 01/23. URL: https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=H11069 (zuletzt eingesehen am 05.04.2024).
Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 111-113.
Vgl. Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 115f.
Vgl. Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 117-122.
Vgl. Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 123-127.
Vgl. Marion Oswald: Gabe und Gewalt. Studien zu Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 36.
Vgl. Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 114.
Heike Sahm: Gabe und Geschenk. Zur Differenz von kultureller Norm und Praxis in Mittelalter und Moderne. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 61/3 (2014), S. 267-278, hier S. 268.
Vgl. Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Hg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 663, Anm. 1.
Vgl. Sahm: Gabe und Geschenk (Anm. 24), S. 267.
Die Bezeichnung 'klassische Trias der Gabenverpflichtungen' bezieht sich auf Überlegungen Mauss' zur dreifachen Verpflichtung (Geben, Nehmen, Erwidern); seine wissenschaftlichen Erläuterungen dominieren sämtliche gabentheoretischen Diskurse. Vgl. Mauss: Die Gabe (Anm. 9), S. 91.
Hier wird die Mauss'sche Verpflichtung des Erwiderns einer Gabe weniger resultativ, denn reaktiv interpretiert. Demnach wird etwa die Zerstörung von Geschenken als ein (defizitäres) Erwidern, eine mögliche Reaktion und reziproke Handlung des initialen Gebens gedeutet.
Vgl. Gerd Althoff/Barbara Stollberg-Rilinger: Die Sprache der Gaben. Zu Logik und Semantik des Gabentauschs im vormodernen Europa. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 63 (2015), S. 1-22, hier S. 4.
Als Handlungsmotive eines kontinuierlichen wechselseitigen Austausches werden auch Eigennützigkeit und egoistische Intentionen angeführt. Laut Derrida deuten das Zirkulieren von Gaben und alle erwiderten Gabenhandlungen auf wechselseitige Forderungen im Kontext egoistischer Bemühungen hin und sind an Verpflichtungen gebunden. Von dieser Annahme aus interpretiert Derrida reines Schenken als bedingungsloses Geben ohne Handlungsmotiv. Vgl. Caillé: Das Paradigma der Gabe (Anm. 13), S. 14-18.
"Dann kam Herr Eneas dorthin, wo die vornehme und reiche Frau Dido war. Sie empfing ihn und seine Gefolgsleute herzlich." (Alle Übers. von R. R.).
Der freundliche Empfang Eneas und seiner Vasallen initiiert die Zirkulation der Gaben. Didos Begrüßung stellt dabei eine Einladung dar, die von Eneas und seinen Begleitern angenommen wird, weil sie in Karthago bleiben, wo es ihnen aufgrund Didos Gastfreundschaft an nichts fehlt: sie schûf im sînen gemach, / daz ime nihtes gebrach / und allen sînen holden (V. 735-737; "sie sorgte dafür, dass es ihm und seinen Gefährten an nichts fehlte.").
"Seinem Kämmerer befahl er, eiligst (er wollte es nicht hinausziehen) ein Gefäß aus Gold zu bringen, das einer seiner treuen Diener in Obhut hatte, und dazu einen kostbaren Mantel, hermelinweiß wie ein Schwan. Mit einem Zobelfell, braun wie ein Braunbär, war er besetzt (das hatte er über das Meer mitgebracht), lang bis zu den Füßen, der sehr aufwendig gefertigt wurde."
"Der Samt war wunderschön rot. Es bestand kein Zweifel darin, dass man nirgendwo einen besseren Samt auftreiben konnte."
"Es war sehr kostbar: das Seidenkleid. Es hatte die Königin Hekabe am Krönungstag getragen. Es war so prachtvoll, dass es besser nicht sein konnte. Eneas zeigte, was er damit im Sinne hatte. Als man ihm alles brachte, überreichte er es Frau Dido."
Wie bereits beim Empfang von Eneas: daz diu frouwe Dîdô / starke minnen began, / daz nie wîb einen man / harder mohte geminnen. / des brahte sie in innen, / daz sis ubele genôz (V. 744-749; "dass sich Frau Dido vor Liebe verzehrte, wie es nie zuvor eine Frau tat. Sie brachte es ihm nahe, dass sie darunter litt").
"'Meine Bemühungen waren vergeblich. Es schmerzt mich sehr, dass ich Euch übermäßig Gaben und Verehrung erboten habe.'"
"Sie befahl, Holz zu bringen und machte darunter Feuer. Sie sorgte für große Verwunderung. Als sie das Feuer anzündete, befahl sie Anna, alle Gaben Eneas' herbeizubringen. Sie sprach, sie möchte nicht leben, ohne alles verbrannt zu haben, auch das Bettzeug, auf dem sie lagen und sich liebten, sie und der vornehme Eneas."
"Es war unrechte Liebe, die sie dazu bewog; mit der Stichwunde lief sie und fiel in die Glut. Da trocknete das Blut ihrer Wunden, weil das Feuer so enorm war. Umso schneller verbrannten ihr Gebände und ihre Kleidung. Ihr Fleisch sollte schmelzen und ihr Herz verschmachten."
Vgl. Werner Hoffmann: Liebe als Krankheit in der mittelhochdeutschen Lyrik. In: Theo Stemmler (Hg.): Liebe als Krankheit. Kolloquium der Forschungsstelle für Europäische Lyrik des Mittelalters an der Universität Mannheim. Tübingen: Narr 1990, S. 221-253.
"Oh weh, dass mir das zuteil wird, dass ich in solcher Weise innerlich verschmachte. Oh weh, diese Liebe ist so unheimlich, die mich mit ihrem Feuer so sehr verbrennt."
Vgl. Hirschbiegel: Étrennes (Anm. 3), S. 111-117.
Beinahe wäre durch das Nicht-Erwidern Margarethes von Clêve, durch diese scheinbare Vereitlung der Gabenhandlung, Heinrichs Fertigstellung des Textes torpediert worden, wenn nicht eine weitere Person, die zunächst nicht in die Tauschhandlung eingebunden war, die Gabe erwidert hätte.
ÜberlegungeninBezugaufdasmäzenatischeEngagementMargarethesvonClêveundderenPlausibilität werden unter anderem in folgenden Beiträgen detailliert und einleuchtend erörtert, vgl. Bernd Bastert: 'Dô si der lantrâve nam.' Zur 'Klever Hochzeit' und der Genese des Eneas-Romans. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 123 (1994), S. 253-273;
Tina Sabine Weicker: 'Dô wart daz bûch ze Cleve verstolen.' Neue Überlegungen zur Entstehung von Veldekes Eneas. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 130 (2001), S. 1-18;
Timo Reuvekamp-Felber: Genealogische Strukturprinzipien als Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter. Dynastische Tableaus in Vergils Aeneis, dem Roman d’Eneas und Veldekes Eneasroman. In: Manfred Eikelmann/ Udo Friedrich (Hg.): Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen - Literatur - Mythos. Berlin: Akademie Verlag 2013, S. 57-74.
"Die Gräfin war wegen des Grafen Heinrich mit Zorn erfüllt, weil er es [das Buch] nahm und nach Thüringen in seine Heimat sandte."
"Er machte sich daran, es zu vollenden, veranlasst durch den Pfalzgrafen Hermann von der Neuenburg bei der Unstrut, weil diesem die Erzählung vortrefflich erschien und das Gedicht meisterlich. Dem kam Heinrich [von Veldeke] nach, durch sein Geheiß und seine Bitte."
"Danach vermisste Heinrich das Buch neun Jahre lang; er konnte das Buch so lange nicht zurückbekommen, bis er nach Thüringen kam, wo er den Pfalzgrafen von Sachsen vorfand, der ihm das Buch überließ und ihn beauftragte, es zu vollenden."