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Abstract :
[de] Der Artikel untersucht populistische Elemente im putinistischen Staatskonstrukt und die darin zutage tretende phantasmatische Verflechtung zwischen dem Machtapparat und gewissen populären Strömungen der Sowjet-Vergangenheit, die der Putin-Propaganda zu ihrer Wirksamkeit verhilft.
Ausgangspunkt ist die Betrachtung der zur Sowjetzeit florierenden Schattenwirtschaft als Phänomen der Populärkultur, die durch ihr paralleles Netzwerk illegaler Praktiken das herrschende Wirtschaftssystem untergräbt (und gleichzeitig aufrecht erhält), während die entsprechenden populären Antihelden (an ihrem eigenen Profit statt am Wohl des Kollektivs interessierte Individualisten, Kapitalisten, oder schlicht „Spekulanten“) mit ihrer Fähigkeit, durch List und Geschicklichkeit allen widrigen Umständen (wie der katastrophalen Ressourcenknappheit) und übermächtigen Kräften (der allgegenwärtigen Staatskontrolle) zum Trotz als Sieger hervorzugehen, typische Eigenschaften von volksmythologischen Trickster-Figuren aufweisen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die putinistische Kleptokratie, in der ungeschriebene Gesetze zu sachgerechter Beamtenbestechung und Schutzgeldeintreibung Vorrang vor dem geltenden Recht haben und das Image des Präsidenten eher einem durchtriebenen Mafiaboss denn einem seriösen Staatsoberhaupt entspricht, als direkter Auswuchs der sowjetischen Untergrundkultur.
Die Darstellung des starken Mannes Putin als paradigmatischer Vertreter des unberechenbaren russischen Tiefenvolkes, wie sie Putins Propagandachef Wladislaw Surkow unterbreitet, lässt sich entsprechend als Versuch eines Revolutions-Narrativs lesen: das ehemals ausgeschlossene, unterdrückte, kriminalisierte, subversive Element der Schwarzhandel treibenden Tiefenschicht der sowjetischen Gesellschaft wird in Putins „souveräner Demokratie“ zur obersten Machtstellung befördert. Die offen zur Schau gestellte Gewaltstruktur und die zynische Amoralität des Putin’schen Staatsapparates erscheint dabei nicht als das Ergebnis des Zerfalls des sowjetischen Glaubenssystems, sondern als Kontinuität eben dieses Systems, nämlich als die Realisierung des sowjetischen Phantasmas vom skrupellosen Kapitalisten und dessen populärer Variation in Form des tüchtigen Schwarzhändlers.
Dies eröffnet Fragen hinsichtlich des Platzes eines mythischen Volkes als eigenständige, von konkreten Dominanzverhältnissen losgelöste Einheit sowie dessen subversiven Potentials sowohl innerhalb populärer Strömungen als auch populistischer Bewegungen, die auch über den russischen Kontext hinaus von Interesse wären.