Table of Contents
Die Akten der 35. Tagung der Groupe International de Recherches sur
l’Esclavage dans l’Antiquité (GIREA), die vom 28. bis 30. November 2012
in Madrid stattfand, sind zugleich Festschrift für ihren Präsidenten
Domingo Plácido. Räume von Sklaverei und Abhängigkeit stellen laut
Buchtitel das Themenfeld dar, das durch 19 Beiträge zum griechischen und
19 zum römischen Bereich abgedeckt wird. Da die GIREA ihre
Interessengebiete seit den letzten Jahren auch auf die neuzeitliche
Sklaverei ausgedehnt hat, wird der Band durch einen Aufsatz zur
Sklaverei und Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung in den
spanischen Kolonien Amerikas, vier historiographische Beiträge und
einem Resümee von Domingo Plácido abgerundet. Die spanischsprachige
Forschung ist am stärksten vertreten, daneben finden sich französische
und italienische Aufsätze sowie einer in englischer Sprache; daher
scheint es nützlich, dass der Band abgeschlossen wird von „Resúmenes“
jedes Beitrags in Spanisch mit englischer Übersetzung, in denen
allerdings meist nur die Intention der Verfasser/innen wiedergegeben
wird, nicht aber die Kernaussagen und die Ergebnisse der Untersuchungen
geboten werden (793-822). Im Folgenden kann—wie häufig bei solch einem
umfangreichen, aus zahlreichen kleinen Beiträgen bestehenden Sammelband
üblich—nur eine Auswahl angesprochen werden, welche die inhaltliche
Bandbreite widerspiegeln soll.
Nach einer kurzen Einführung, in der das Wirken Domingo Plácidos
gewürdigt und die Bedeutung des Raumes als soziale, materielle und
imaginäre Konstruktion betont wird, widmet sich Adolfo
Domínguez-Monedero (19-36) dem religiösen Raum und greift mit der
Tempelsklaverei in Griechenland ein Thema auf, das, wie die
Tempelprostitution, in den letzten Jahren verstärkt Beachtung gefunden
hat. Unter Berücksichtigung der nicht immer eindeutigen Terminologie für
das Kultpersonals weist der Autor darauf hin, dass es häufig keine
Sklaven waren, die niedere Dienste bei Kulthandlungen verrichteten,
sondern Freie, die teilweise aus den oberen Schichten stammten und
einen zeitlich begrenzten heiligen Dienst leisteten. María Cruz Cardete
del Olmo (37-49) arbeitet die Konstruktion von Landschaft
(paisaje/landscape) als Instrument der politischen Kontrolle am Beispiel
von Azania auf der Peloponnes heraus. Bereits dieser zweite Beitrag
zeigt, wie weit und umfassend die Begriffe Raum und Abhängigkeit
aufgefasst werden. Dies gilt auch für den folgenden Aufsatz von Colette
Jourdain-Annequin (51-62), die „les cultes dans l’espace de la cité
grecque: organisation territoriale et différenciations sociales“ für
Athen beschreibt; dabei wird auch kurz auf die Teilnahme von Sklaven
bei der Eröffnung der Anthesterien hingewiesen (55).
Zwei weitere Beiträge sind ikonographischen Problemen gewidmet; in
ihnen wird somit der Körper als Raum aufgefasst: Während Fernando
Echeverría Rey Kampfszenen auf schwarzfigurigen Vasen als Beispiele
anführt, um die Grenzen einer Identifizierung von unfreien „Knappen“
aufzuzeigen (63-78), kombinieren Francine Barthe-Deloizy und
Marie-Claude Charpentier ikonographische, literarische und
ethnologische Quellen, um das Bild des Sklaven in der griechischen Kunst
zu analysieren (79- 95). Der Körper des Sklaven sei ein Konstrukt und
könne je nach Situation und Arbeitsfeld mit unterschiedlichen Merkmalen
gekennzeichnet werden, und zwar durch seine Haltung, geringe Größe,
Missgestaltungen, Kleidung oder (unwürdige) Nacktheit. Die
Sklavenikonographie korrespondiere somit mit den Aussagen des
Aristoteles zur Natur des Sklaven. Diese Stereotypen, die eine
„dépersonnalisation“ und „déshumanisation“ bedeuten, stellen für die
Autoren aussagekräftige Zeugnisse zur Mentalität der griechischen
Gesellschaft dar.1
Nachdem in weiteren Beiträgen u. a. Räume und Abhängigkeiten bei
Herodot und Euripides analysiert werden, betrachtet Massimo Nafissi die
spartanische Krypteia als Raum der Abhängigkeit (201-229): Aufgrund der
widersprüchlichen Schilderungen bei Platon, Aristoteles und Plutarch
kam es in der Forschung zu ganz unterschiedlichen Charakterisierungen
der Krypteia, wie „terroristischer Akt“, „Menschenjagd“,
„Initiationsritual“ oder „Überlebenstraining“. Nach der kritischen
Sichtung der Quellen und der Forschungsliteratur schließt sich Nafissi
im Wesentlichen der Interpretation von Stefan Link an, dass es nämlich
um die Mitte des 4. Jh. v. Chr. eine Reform der Krypteia gegeben habe
und erst ab dieser Zeit die Helotenjagd praktiziert wurde, insbesondere
um die Messenier, die aus spartanischer Sicht Heloten waren, zu
schwächen.2 Nach dieser
sachlichen Auseinandersetzung vergleicht Nafissi abschließend Sparta
mit dem nationalsozialistischen Deutschland, in dem die Jugendlichen
ermuntert wurden, jüdische Geschäfte zu zerstören, und der Autor begrüßt
es, dass Sparta sein Ziel, die messenischen Gebiete jenseits des
Taugetus wiederzugewinnen, nie ereicht habe.
John Bintliff verfolgt—noch umfassender als im Titel („The Spaces of
Dependency in Southern Greece: Landscape and Tied Labour from the
Mycenaean Era till the Middle Byzantine Period“)
angegeben—Abhängigkeitsformen im südlichen Griechenland in der long
durée vom Neolithikum bis ins 19. Jahrhundert n. Chr. (255-262).
Einem gänzlich anderen Raum, dem Gastmahl, als typischem
Arbeitsbereich von Sklaven, wo sie stets als Dienstpersonal auftraten,
widmet Guy Labarre seine Ausführungen (307-320), indem er mit den
Deipnosophisten des Athenaios (um 200 n. Chr.) eine wichtige
literarische Quelle hierzu analysiert. Bezüglich der Rolle der Sklaven
kann eine Vermischung realer, zeitgenössischer Verhältnisse mit
literarischen Fiktionen und Topoi festgestellt werden.
Auch die Beiträge zur römischen Sklaverei behandeln zentrale Themen:
Während Carlos García Mac Gaw die „symbolischen Orte der Freiheit“
während der Sklavenaufstände analysiert (327-349), richtet Antonio
Pinzone seinen Blick auf die Fragmente des Diodor bzw. dessen Quelle
Poseidonius und weist auf die Elemente der Topik in den Berichten zu den
sizilischen Aufständen hin (351-364). Paolo Desideri vergleicht die
Reden des Dio Chrysostomus mit Rechtsquellen, um die Orte der servi
fugitivi ausfindig zu machen (385-393). Es geht dem Autor hierbei um
die „politisch-ideologischen“ Orte, nämlich die Vortäuschung einer
freien Rechtsstellung, die einen kriminellen Akt darstellte, der harte
Bestrafung erforderte. Konkrete Orte hat Francesca Reduzzi Merola im
Blick, indem sie auf die ortsgebundenen rechtlichen Verhältnisse eines
Gladiators hinweist (395-399): Denn sobald er die Arena betritt,
wandelt sich das auctoramentum zwischen ihm und dem lanista in ein
Mietverhältnis oder eine res empta et vendita; sobald ein Gladiator
flieht wird er zum servus fugitivus oder latro.
Weitere wichtige antike Autoren, die hinsichtlich ihres Raumkonzepts
untersucht werden, sind Polybius (439-461) sowie Martial, Juvenal und
Petronius (505-519), während Antonio Gonzales auf das Konzept der
Freiheit und die Rolle der Sklaven bei den Stoikern eingeht (463-485).
Ausgehend von dem Bericht des Tacitus (Ann. 4, 27, 1) über den
Sklavenaufstand des Jahres 24 n. Chr. in Unteritalien widmet sich
Rosalba Arcuri der Sklaverei in der Landwirtschaft (487-503). Die
Autorin spricht sich für einen Bedeutungsverlust der Sklaverei im
süditalischen Agrarwesen ab tiberischer Zeit aus, denn der schiavo
pastore sei nur eine „figura di lunga durata“ (497).
Julien Demaille stellt die Grabmäler und -inschriften aus dem
Territorium der Colonia Iulia Augusta Diensis, dem römischen Dion in
Nordgriechenland am Fuße des Olymp, vor (537-559), wo es verhältnismäßig
viele Zeugnisse von Unfreien gibt. Insbesondere außerhalb der Stadt
fanden sich über 40 griechische und lateinische Inschriften, die Sklaven
oder Freigelassene nennen, wobei der Autor auf zahlreiche weitere
epigraphisch belegte Personen verweist, deren Status unsicher ist.
Es folgen Beiträge zu hispanischen Räumen: In Barcino existierte eine
Keramikindustrie, in der Oriol Olesti Vila und César Carreras Monfort
Sklaven als institores nachweisen können (561-587). Estela García
Fernández rekonstruiert anhand des epigraphischen Materials die
Klientelverhältnisse in Saguntum (589-605) und Alejandro Beltrán, María
Ruiz del Árbol und Inés Sastre bieten einen Überblick zur Archäologie
und Epigraphie im römischen Westspanien, den heutigen Provinzen Zamora
und Salamanca (607-621).
Die letzten drei Beiträge der römischen Sektion sind den
frühchristlichen Quellen gewidmet. Amparo Pedregal hinterfragt das Bild
der christlichen Frauen im häuslichen Bereich und spricht von einem
Umsturz der Geschlechterordnung (sub/versión del orden genérico) im
Zuge der Christianisierung der römischen Gesellschaft (623-636).Manuel
Rodríguez Gervás untersucht die Briefe des Augustinus von Hippo, die
wichtige Quellen zur spätantiken Sklaverei darstellen, richtet den Focus
aber auf das Verhältnis der Grundbesitzer (domini) und Kolonen,
um die Mechanismen der dortigen Abhängigkeitsverhältnisse zu
untersuchen (637-657). Zum Abschluss der römischen Sektion stellt
Francisco Javier Lomas Salmonte die große Autorität der christlichen
Kirche im spanischen Westgotenreich heraus (651-683).
Es handelt sich bei dem Tagungsband folglich um weite Streifzüge, die
rund um das Thema Abhängigkeit in der Antike (und darüber hinaus)
mittels eines weitgefassten Raumbegriffs unternommen werden. Zum
Abschluss der römischen Sektion wird ein Schwerpunkt auf
Abhängigkeitsformen in Hispanien gesetzt. Durch den chronologischen
Aufbau besitzt der Band geradezu einen Überblickscharakter zu wichtigen
Problemen der Forschungen zur antiken Sklaverei und Abhängigkeit.
Aufgrund des meist geringen Umfangs können die Beiträge allerdings nur
Schlaglichter werfen, und besonders zu den bereits intensiv erforschten
Themen findet sich viel Bekanntes wieder; die Verfasser/innen verstehen
es aber durchweg, eine eigene Sichtweise zu präsentieren und neue
Aspekte anzuführen.
Notes:
1. Zum Thema Sklaven-Ikonographie sei hier noch ergänzend auf das Buch von Leonard Schumacher, Sklaverei in der Antike. Alltag und Schicksal der Unfreien.
München 2001, verwiesen, der sich intensiv mit dem Problem der
bildlichen Darstellungen von Sklaven befasst. Vgl. außerdem: Ingomar
Weiler, "Überlegungen zur Physiognomie und Ikonographie in der antiken
Sklaverei", in: Eva Christof u. a. (ed.), Potnia Theron. Festschrift für Gerda Schwarz
(Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der
Karl-Franzens-Universität Graz, Bd. 8), Wien 2007, 469-479; Stefan
Schmidt, Art. Ikonographie, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei CD-ROM I-IV (2012).
2. Stefan Link, "Zur Entstehungsgeschichte der spartanischen Krypteia", in: Klio 88, 2006, 34-43.